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Grenzen öffnen – Kapitalismus abschaffen!

Unser Redebeitrag (ungekürzt) am 18.12.21 auf der Demo von Seebrücke Potsdam und Women in Exile zum Internationalen Tag der Migration

Allein in einem Jahr verlassen 250.000 Menschen ihr Heimatland – auf der Flucht nach einer Perspektive, die ihnen das Überleben sichert.

Insgesamt wandern 6 Mio. Menschen aus. Wie das Wochenblatt Die Zeit schreibt, ist die Auswanderung oft die einzige Option für Millionen von Menschen. Hungersnöte, hohe Arbeitslosigkeit und Verelendung treiben die Menschen zu einer riskanten und teuren Flucht. Nicht wenige sterben auf der Überfahrt zum angestrebten Zufluchtsort. Die Fluchtkosten stürzen viele in eine Verschuldung, für deren Abzahlung sie sich im neuen Heimatland gnadenlos ausbeuten lassen müssen.Wir befinden uns in der Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Dass Bremerhaven der größte Auswandererhafen in Europa war, verdeutlicht die Dimension der Auswanderungswelle im damaligen deutschen Kaiserreich. Die Reederei Norddeutscher Lloyd machte ein Vermögen aus der Fluchthilfe nach Übersee. Ohne jenes Vermögen hätte sie sich wahrscheinlich nicht zur Hapag-Lloyd AG, einer der größten Reedereien der Welt, entwickelt.

Während die zurückliegende Migration vieler Deutsche im Nachhinein oft als Abenteuersuche verklärt wird, sieht der heutige Diskurs über die Fluchtbewegungen von Nicht-Deutschen ganz anders aus. Wie kommt es zur heutigen Abschottungspolitik, was ist die Motivation? Und was schlussfolgern wir daraus?

Ja, es gibt den offenen Rassismus und die Überlegenheitsphantasien der Rechten, die eine Abschottung zur Verteidigung des sogenannten deutschen Volkes stilisieren. Nicht Wenige in der Gesellschaft haben kein Problem damit. Wenn die Ziele stimmen, laufen sogar Eso-Hippies aktuell mit Nazis auf Demos rum und verteidigen ihre Freiheit, asozial sein zu dürfen.

Jedoch wird die aktuelle Abschottungs- und Abschiebungspolitik nicht von den Rechten der AfD betrieben. Sehen wir uns die faktische Politik der regierenden Parteien, SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP und auch die Linke, in der Bundesregierung und in den Landesregierungen an, braucht es keine AfD für die vielen Facetten der Abschottung – angefangen bei der Entrechtung von Asylsuchenden in den Heimen und Lagern hierzulande bis zu den bewusst in Kauf genommenen Toten an den Grenzen Europas.

Besonders gewiefte Sozial- und Christdemokrat*innen rechtfertigen entweder offen oder hinter vorgehaltener Hand ihre Abschottungspolitik damit, dass der Zuzug von nicht-deutschen Menschen nach Deutschland die Rechtsextreme stärke würde. Eine menschenfeindliche Abschottungspolitik wird fast zu einem antifaschistischen Akt verschwurbelt.

Zynisch gesagt: Menschen sterben lassen gegen Rechts! Was ist das für ein Bullshit!

Auch wenn eine Mischung aus Rassismus und einer vermeintlichen Angst vor dem Aufstieg der Rechtsextremen gewiss einen Teil der Motivation zur Abschottung ausmacht, kann dies mitnichten als alleinige Erklärung gelten.

Die heutige Abschottungspolitik ist vielmehr die Folge einer kapitalistischen Standortpolitik: Auf der einen Seite wollen Konzerne profitieren von grenzenloser, weltweiter Ausbeutung von Naturressourcen und Menschen. Auf der anderen Seite will der globale Norden nur die Vorzüge dieser globalen Ausbeutung beanspruchen. Ohne Verantwortung für die fatalen Folgen dieser weltweiten Ausbeutung zu übernehmen. Verantwortung zu übernehmen würde der kapitalistischen Logik widersprechen. Denn im Kapitalismus gibt es nur eine Logik: Es muss alles dafür getan werden, dass Gewinne fließen. Gewinne fließen nur, wenn die Kosten niedrig bleiben. Würde der globale Norden für all die sozialen Krisen und Umweltschäden bezahlen, würden die Kosten für die bisherigen Profiteure ins Unermessliche steigen. Die negativen Folgen von sozialen Verwüstungen und ökonomischen Krisen und deren Eskalation zu gewaltsamen Konflikten und Kriegen sind somit ein Grundmuster des Kapitalismus, auf das Menschen immer mit Flucht und Auswanderung reagiert haben.

Die Abschottungspolitik ist somit keine Entscheidung einer einzelnen Politikerin oder einer einzelnen Partei. Auch kleine Zeichen von Humanität mit der Aufnahme von einzelnen Geflüchteten, ändern nichts an dem großen Ganzen: Es besteht hierzulande breiter Konsens darüber, sich die Probleme dieser Welt vom Hals zu halten, die der globale Norden seit Jahrhunderten mittels Kolonialismus und kapitalistischer Ausbeutung profitbringend mitverursacht.

Passend dazu selektiert der globale Norden die Migration so, dass er davon profitieren kann. Saisonarbeiter*innen in der Landwirtschaft, Arbeiter*innen in der Fleischindustrie, Arbeiter*innen im Baugewerbe, Arbeiter*innen im Pflegebereich: Billige Arbeitskräfte sind willkommen, wenn sie nach ihrem Arbeitseinsatz das Land wieder verlassen, um ja keine sozialen Sicherungssysteme in Anspruch zu nehmen. Der Aufenthalt wird an die Arbeit geknüpft – so sind Arbeitskräfte für eine Ausbeutung bis zur Erschöpfung erpressbar.

Hört auf damit, die Existenz von Menschen von eurer zynischen Kosten-Nutzen-Berechnung abhängig zu machen!

Und es wird noch schlimmer: Abgeschottete Wohlstandsinseln hierzulande und unmenschliche Arbeitsbedingungen im globalen Süden bieten ein ideales Investitionsklima. Kapitalismus produziert nicht nur Ungleichheit, sondern profitiert von niedrigen Lohnniveaus und miserablen Umweltstandards im globalen Süden und von einem hohen Wohlstandslevel im globalen Norden. Es gibt offensichtlich gar kein Interesse in der herrschenden Ökonomie, diese Ungleichheit durch eine globale Bewegungsfreiheit abzuschaffen!

Die Gemeinheiten der kapitalistischen Logik gehen noch weiter. Im Kapitalismus stehen nicht nur Unternehmen in Konkurrenz, sondern die Logik der Konkurrenz ist mittlerweile tief eingebrannt in unsere Lebenszusammenhänge.

Abschottungspolitik ist Teil dieser Konkurrenzlogik. Menschen hierzulande sehen sich einer drohenden oder realen Prekarität, Ausgrenzung und Konkurrenz gegenüber. Seit vielen Jahren erleben die Menschen, dass immer diejenigen die Verlierer sind, die ohnehin wenig haben. Wer beispielsweise die Kosten der Coronaschulden tragen wird, steht jetzt schon fest – egal ob mit Ampel oder mit CDU/CSU. Die Reichen werden profitieren, die Ärmeren werden zahlen. Statt diese Umverteilung von unten nach oben anzugreifen, befürchten weite Teile der Bevölkerung, ihr kleines Stück am Wohlstandskuchen noch weiter teilen zu müssen. Nicht teilen zu können oder zu wollen, haben sie mit dem reicheren Teil der Bevölkerung gemeinsam – wobei bei den Reicheren die Betonung auf das Nicht Teilen Wollen liegt. Somit wird der nationalstaatliche Egoismus Konsens. Bestehende Privilegien einer imperialen Lebensweise und der Mehrwert durch national-soziale Bürgerrechte werden durch Grenzen und Mauern exklusiv gehalten.

Der Ruf nach Abschottungspolitik ist dann auch die Absicherung von Privilegien.

Wenn wir wollen, dass Menschen das universale Recht haben, zu kommen, zu gehen und zu bleiben. Wenn wir die globale Bewegungsfreiheit haben wollen, müssen wir gezwungenermaßen an den Grundprinzipien des Kapitalismus rütteln. Denn in einer kaputten Welt mit grassierender Ungleichheit und zunehmenden ökonomischen und sozialen Krisen wird die Kontrolle über die Migration immer ausgrenzend und gewaltvoll bleiben.

Teile der Klimabewegung haben verstanden, dass ein echter Klimaschutz mit Elektroautos und grün angestrichenem Kapitalismus nicht zu machen ist. Die Forderung nach einem Systemwandel, also die Abkehr von kapitalistischen Prinzipien, ist die logische Schlussfolgerung für viele Klimaschützerinnen, die sich mit der Endlichkeit von Ressourcen und den sozialen Krisen auseinandergesetzt haben, die ein kapitalistisches Weiter so im Klimawandel drastisch verstärken wird.

Eine progressive Migrationspolitik darf nicht bei der Forderung nach mehr Humanität stehen bleiben. Wir müssen dieses systematische Ausgrenzen von weiten Teilen der Weltbevölkerung verstehen und ebenfalls unsere Schlussfolgerung daraus ziehen: Wenn wir tatsächlich die Utopie einer Welt ohne Grenzen verfolgen, müssen wir – wie die Klimaaktivistis – die Systemfrage stellen. Natürliche Verbündete in dieser Systemfrage gibt es viele: Die bereits erwähnten Klimaaktivistis und die vielen Arbeiter*innen in dieser Welt, die nicht selten als Arbeitsmigrant*innen oder Geflüchtete in Europa stranden.

In diesem Sinne: Grenzen öffnen – Kapitalismus abschaffen!